Beiträge zur Musik und mein Senf zu anderen Dingen

Kategorie: Literatur Seite 4 von 7

Buchtipp

Steve Kilbey – Something Quite Peculiar: The Church. The Music. The Mayhem, Hardie Grant Books, Richmond, 2014

Steven John Kilbey, Jahrgang 1954, begann seine professionelle Musikkarriere, als er 17 Jahre alt war. Er spielte in mehreren Bands, bevor er 1980 in Sydney „The Church“ gründete. Nach anfänglichen Erfolgen gelangten Kilbey und The Church 1988 zu internationalem Ruhm, als ihr Album „Starfish“ mit dem Song „Under the Milky Way“ sowohl in Australien als auch in den USA an die Spitze der Musikcharts kletterte. Kilbey hat mit einer Vielzahl von Musikern an verschiedenen Projekten zusammengearbeitet und auch eine Reihe von Solowerken produziert. Er ist auch Maler, Dichter und Musikproduzent. Steve Kilbey lebt derzeit in Bondi, Sydney.

Mit „etwas ziemlich seltsames“ taucht man ein in die Welt von Steve Kilbey, dem Singer-Songwriter und Bassisten einer der beliebtesten Bands Australiens, The Church. Von seiner Kindheit als Einwanderer, über seine Jugend, in der er mit den Beatles, Dylan und den Stones aufwuchs, bis hin zu seinen frühen Abenteuern in Garagenbands und Nachbarschaftsjams. Seine wilden Abenteuer mit The Church, als sie Australien und dann die Welt eroberten. Die Tourneen. Die Platten. Die Frauen. Und dann die Heroinsucht, die ihn zehn lange Jahre lang gefangen hielt. Dann die beiden (!) Paare von Zwillingen („We called them the Twillies“), die er währenddessen gezeugt hat, und die Abzweigung in die Schauspielerei, die Malerei und das Schreiben.

Vom verschneiten Schweden bis zu einer Zelle in New York City, vom Strand von Ipanema bis nach Bondi (Australien) schlingert Kilbey durch sein surrrealistisches Leben, welches einen sowohl zum Schmunzeln bringt als auch dazu, ihm in den Arsch treten zu wollen. Seine Geschichte ist einfach zu gut, um nicht erzählt zu werden. Er erzählt sie mit ungewöhnlicher und oft unverfälschter Klar- und Offenheit.

Hier ein kurzer von mir übersetzter Auszug aus seiner Biografie:

Kurz bevor wir nach Europa aufbrachen, ging The Church für ein paar Tage ins Studio 301. Capitol Records, unser amerikanisches Plattenlabel, war auf der Suche nach weiteren „Hits“ und sie waren der Meinung, dass The Blurred Crusade keine Hits enthielt.
Um die Wahrheit zu sagen, die Leute, die in den meisten amerikanischen Plattenfirmen arbeiteten, hätten einen Hit nicht von einem Stück Seife unterscheiden können, selbst wenn es ihnen in den Hintern gebissen hätte. Ich wusste im Grunde meines Herzens, dass wir keine Hits mehr hatten, aber ich hatte ein paar interessante neue Songs geschrieben, die ich aufnehmen wollte; würden sie die Hits sein, die sie suchten? Keine Chance! […]

Also gingen wir nach Großbritannien, wo wir bei Carerre unter Vertrag standen und einige Auftritte geplant hatten. Leider gehörte dazu auch ein Auftritt im Vorprogramm von Duran Duran – einer Band, die ich damals hasste und auch heute noch hasse. Ja, hassen ist ein starkes Wort, aber ihr neues romantisches Geschwätz und ihre albernen Videos waren mir ein Gräuel. Unsere Plattenfirma hatte ungefähr dreißigtausend verdammte Pfund bezahlt, um auf ihrer schäbigen Tournee vor elfjährigen, weinenden Mädchen zu spielen. Vielleicht wäre ich ja damit zufrieden gewesen, wenn wir nicht zuerst im Venue aufgetreten wären. Nach einem OK-Aufwärmkonzert als Vorband für eine Band namens The Truth irgendwo in einem Londoner Vorort hatten wir einen Gig im The Venue gebucht, das mehr als 2000 Leute fassen konnte. Und wir waren ausverkauft und bekamen begeisterte Kritiken. Unsere Tournee fiel irgendwie mit einem kleinen psychedelischen Revival in England zusammen, und wir wurden als Paten der ganzen Bewegung angesehen – das Publikum drehte durch, als wir die Bühne betraten. Als ich bei „Almost with You“ die Zeile „Who you trying to get in touch with?“ sang, zeigte das ganze Publikum auf mich und rief „YOU! YOU!‘ Ich dachte immer wieder, dass da irgendetwas anderes vor sich gehen muss, denn sie schrien sicher nicht alle nach uns! […]

Schließlich landeten wir wieder in England und bereiteten uns darauf vor, für Duran Duran im Hammersmith Odeon zu eröffnen. Aber auch hier mochte uns das Publikum, bestehend aus mädchenhaften Teenyboppern, nicht ein einziges kleines bisschen. Andy, der Gitarrist von Duran Duran, kam in unsere Garderobe und war sehr freundlich, aber wir bereiteten ihm einen frostigen, stummen Empfang. Danach haben sich beide Bands gegenseitig ignoriert. Man muss ihnen zugute halten, dass Duran Duran live genau wie ihre Platten waren – wenn man so etwas mag, was ich überhaupt nicht tat. Sie brauchten auch ausgeklügelte Strategien, um aus den Theatern zu entkommen, weil ihnen die Mädchen hinterherliefen.

Das Publikum von Duran Duran hätte jeden gehasst, der vor ihren Idolen aufgetreten wäre; sie waren kein Publikum, das man mit cleveren Texten oder trickreichen Gitarrenparts überzeugen konnte. Sie konnten mit einem Haufen australischer Hippies, die Paisley-Shirts trugen und Jingle-Jangle-Rock spielten, nichts anfangen. Eines Abends waren wir in Perth, Schottland, und als wir zum Konzert fuhren, rannte ein Haufen kreischender Mädchen zum Auto, aber sie blieben angewidert stehen, als sie sahen, dass wir nicht Duran Duran waren. Es sind nicht DIE!“, spottete eine wütende Zwölfjährige zu den anderen Kindern, die zum Auto gestürmt waren.

Under Control

Von vielen Künstlern hört man, wie sie sich auf ihre Bühnenauftritte vorbereiten. Manche meditieren oder beten dafür, dass ihr Auftritt gut gelingt. Andere sammeln sich geistig und konzentrieren sich, bevor der Vorhang aufgeht, in aller Stille. In Tina Turners Leben ging es jedoch ganz anders zu. Sie lebte in ständiger Angst davor, was Ike wohl mit ihr vor oder nach dem Konzert machen würde. Die Zeit, in der sie auf der Bühne stand, das waren die einzigen Stunden, in denen sie sich wirklich in Sicherheit wusste.

Die Realität sah so aus, dass Ike Tina vor den Konzerten häufig verprügelte und dann von ihr erwartete, dass sie den Abend über singen würde, als wäre nichts geschehen. Nun ja, man könnte rational damit argumentieren, dass es zumindest ein Konzert gewesen sein muss, das sich für Tina auszahlte, bei dem sie sicherlich selbst viel Geld verdiente. Man würde ganz sicher davon ausgehen, dass dem so war – und sie sich einfach etwas Geld zusammensparen konnte, um sich dann letztendlich ihre Freiheit zu erkaufen.

Aber in Wahrheit bekam Tina nie etwas von dem Geld zu sehen. Von ihr wurde erwartet, dass sie Ike von vorne bis hinten bediente, mit ihm schlief und sich von ihm verprügeln ließ, wann immer er dies für angebracht hielt, und dabei – so als wäre alles in Ordnung – den glamourösen und energiegeladenen Star der Show spielte. Doch sie bekam keinen Cent für ihre Arbeit, nichts, was sie für ihre psychischen und physischen Qualen entschädigt hätte. Ike hatte ihr Leben und ihr Umfeld total unter Kontrolle. Sie durfte noch nicht einmal eigene Freunde haben. Auf diese Weise machte er jede Flucht für sie unmöglich. Er sorgte dafür, dass sie keinen Ort hatte, an den sie hätte fliehen können.“

aus: Mark Bego, Tina Turner. Die Biografie, 2009

Autor Mark Bego hat Tina Turner, die 2023 starb, häufig getroffen und interviewt. Das bewegte Leben hat er in einem spannenden Buch zusammengefasst, das von der ersten bis zur letzten Zeile zu fesseln weiß.

Zum Jahresbeginn… ein Gedicht:

Ein Nagel

Ein Nagel saß in einem Stück Holz.
Der war auf seine Gattin sehr stolz.
Die trug eine goldene Haube
Und war eine Messingschraube.

Sie war etwas locker und etwas verschraubt,
Sowohl in der Liebe, als auch überhaupt.
Sie liebte ein Häkchen und traf sich mit ihm
In einem Astloch. Sie wurden intim.

Kurz, eines Tages entfernten sie sich
und ließen den armen Nagel im Stich.
Der arme Nagel bog sich vor Schmerz.
Noch niemals hatte sein eisernes Herz

So bittere Leiden gekostet.
Bald war er beinah verrostet.
Da aber kehrte sein früheres Glück,
Die alte Schraube, wieder zurück.

Sie glänzte übers ganze Gesicht.
Ja, alte Liebe, die rostet nicht!

aus: Joachim Ringelnatz, Ich bin so knallvergnügt erwacht. Die besten Gedichte, marixverlag GmbH, Wiesbaden 2013

Bildquelle: www.ringelnatz.net

Buchtipp: Error 404

Error 404 ist ein Buch von Esther Paniagua über den drohenden Internet-Blackout, vor dem uns Experten seit Jahren warnen. Es beschreibt, wie es zu einem totalen Zusammenbruch kommen könnte, erörtert die potenziellen Auswirkungen und behandelt dringende Themen, die sich aus einer entscheidenden Frage ergeben: Wie hat sich das Internet von einer Quelle der Befreiung zu dem entwickelt, was es heute ist .

Die Frage lautet nicht, ob das Internet komplett ausfallen wird, sondern wann. Werden wir darauf vorbereitet sein? Oder wird die Welt ohne Internet im Chaos versinken?

Anfang Oktober 2021 fielen die Dienste von Facebook, Instagram und WhatsApp für einige Stunden aus. Die Panik, die gerade junge User daraufhin ergriff, sorgte allgemein für Erheiterung. Doch was bei einem kurzen Zeitraum noch lustig ist, wird ernst, wenn das komplette Internet betroffen ist, und nicht nur für ein paar Stunden.

Wissenschaftler haben errechnet, dass uns etwa 8 bis 10 Tage bleiben würden, bis unsere Zivilisation ohne Internet völlig zum Erliegen kommen würde. Längst ist das Internet integraler Bestandteil unserer kritischen Infrastruktur. Ein potenzieller Ausfall wird längst ernsthaft diskutiert, sei es durch die Überlastung der Serverfarmen, einen Sonnensturm oder einen militärischen Anschlag.

Im Buch werden die heutigen Themen, die Probleme unseres digitalen Lebens, die dahinter stehende Machtdynamik und die Aushöhlung der Demokratie analysiert.

„Immer mehr Stimmen warnen vor der Gefahr, dass der private Sektor das Gemeinwohl an sich reißt und dass Vorschriften ohne Transparenz, Rechenschaftspflicht und ein kollektives Mandat erlassen werden. Das wäre die Privatisierung des Regierens und die Bankrotterklärung einer demokratischen Regierungsführung, bei der die Entwicklung von Regeln alle betroffenen Bevölkerungsteile einbezieht. Die »GAFAM«s und »BAT«s dieser Welt missbrauchen ihre Macht nicht nur, um die Menschenrechte zu verletzen und in die Privatsphäre der Individuen einzudringen, sondern auch, um Steuern zu hinterziehen und sich vor Regulierungen zu schützen.“

GAFAM = Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft, die größten Internetfirmen der Welt
– BAT = Baidu, Alibaba und Tencent

Mit einer kritischen und zugleich konstruktiven Perspektive bietet Error 404 auch eine Reihe konkreter Vorschläge und Denkansätze und ist für mich alles andere als „ein fader Abklatsch der Internetkritik„. Vielleicht passen dem Kritiker die gesellschaftspolitischen Ansätze der Autorin nicht, welche u.a. die „Gründung einer Allianz der demokratischen Nationen, die digitale Regeln festlegt“ vorsehen, um sowohl den oben genannten Konzernen als auch Ländern wie China und Russland mit ihren antidemokratischen und autoritären Strategien durch „partizipativere und transparentere Demokratien“ entgegen zu wirken.

„…was die Menschheit so weit gebracht hat, dass sie heute an diesem Punkt steht, ist weder das Internet noch die Digitalisierung. Beide spiegeln vielmehr die menschliche Verfassung wider und können die besten und schlechtesten Seiten der Menschen verstärken. Hass, Gewalt und Verbrechen werden auch weiter online reproduziert werden, Polarisierung und Fehlinformationen weiterhin verstärkt, Diskriminierung findet ihren Niederschlag in unseren Algorithmen, und jeden unserer analogen oder digitalen Schritte wird man potenziell überwachen können.

Die Allianz kann dazu beitragen, die verstärkte negative Einflussnahme einzudämmen und schrittweise umzukehren. Aber einen richtigen Wandel wird es nur geben, wenn wir bessere, integrativere und gerechtere Gesellschaften und partizipativere und transparentere Demokratien aufbauen. Das kann nur gelingen, wenn wir alles daran setzen, bessere Menschen hervorzubringen und dabei keinen Moment unsere Leitwerte aus den Augen verlieren.“

Esther Paniagua – Error 404. Der Ausfall des Internets und seine Folgen für die Welt, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2022
ISBN: 978-3-455-01437-2, 400 Seiten

Quelle: tintenfässchen, estherpaniagua.com

Buchtipp: „Eine Frage der Chemie“ von Bonnie Garmus

Im Mittelpunkt des Romans steht die hochbegabte Chemikerin Elisabeth Zott, die Ende der 1950er Jahre an einer US-amerikanischen Universität arbeitet – zu einer Zeit, in der Frauen keinerlei Chancen auf einen beruflichen Aufstieg hatten.

Sie hat eine gemeinsame Tochter Madeline mit dem Chemiker und Ruderer Calvin, der jedoch auf tragische Weise stirbt und den seine Tochter nie kennen lernt.

Nach Calvins Tod wird Elisabeth Zott aus dem Institut gedrängt, Ursache ist die konservative Auffassung ihrer männlichen Kollegen, die in der ungewollten Schwangerschaft von Zott einen Angriff auf das bigotte und konservative Wertesystem der Gesellschaft sehen. Nach ihrem Rauswurf aus dem Institut baut Elisabeth Zott ihre Küche zu einem Labor um, in dem sie nun, als alleinerziehende Mutter, weiter ihrem Forschungsschwerpunkt der Abiogenese nachgeht. Um finanziell über die Runden zu kommen, landet die alleinerziehende Elizabeth Zott bald in der TV-Show »Essen um sechs«, in der sie ihren Zuschauer*innen die chemischen Reaktionen beim Kochen erklärt. Denn für sie ist Kochen Chemie. Und Chemie bedeutet Veränderung der Zustände. Die Sendung, die vor allem von den Frauen in den USA begeistert aufgenommen wird, wird ein landesweiter Erfolg.

Bei Bonnie Garmus‘ Roman „Eine Frage der Chemie“ handelt es sich um eine sehr amüsante und lesenswerte Lektüre. Der Roman ist nicht nur historisch interessant, da er die Rolle der Frau in den 50er und 60er Jahren beschreibt, sondern er spricht auch ganz aktuelle Themen an, wie z.B. Gleichberechtigung und Gleichstellung der Frau, die Rolle als alleinerziehende Mutter oder Karrierechancen von Frauen.

461 Seiten

2022 | 1. Auflage
Piper Verlag
ISBN 978-3-492-07109-3

Eine Sozialgeschichte des Jazz in den USA

Jazz war lange Zeit (vor allem Ende des 19. Und zu Beginn des 20. Jahrhunderts) eine Massenbewegung, die auch soziale Bedürfnisse und ökonomische Zwänge großer Teile der Bevölkerung widerspiegelte und bis 1975 als eine gewichtige Stimme der Gegenkultur galt.

Wie erlangte der Jazz diesen Status und wie ging sie ihm wieder verloren?

Diesen und anderen Fragen geht Wolf Kampmann in seinem sehr lesenswerten Artikel „We insist! Eine Sozialgeschichte des Jazz in den USA“ nach. Erschienen in der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“, Nr. 5-6 vom 27.01.2023, die noch weitere interessante Beiträge zum Themenfeld Jazz beinhaltet.

Kostenloser Download unter:

https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/jazz-2023/

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