Von vielen Künstlern hört man, wie sie sich auf ihre Bühnenauftritte vorbereiten. Manche meditieren oder beten dafür, dass ihr Auftritt gut gelingt. Andere sammeln sich geistig und konzentrieren sich, bevor der Vorhang aufgeht, in aller Stille. In Tina Turners Leben ging es jedoch ganz anders zu. Sie lebte in ständiger Angst davor, was Ike wohl mit ihr vor oder nach dem Konzert machen würde. Die Zeit, in der sie auf der Bühne stand, das waren die einzigen Stunden, in denen sie sich wirklich in Sicherheit wusste.

Die Realität sah so aus, dass Ike Tina vor den Konzerten häufig verprügelte und dann von ihr erwartete, dass sie den Abend über singen würde, als wäre nichts geschehen. Nun ja, man könnte rational damit argumentieren, dass es zumindest ein Konzert gewesen sein muss, das sich für Tina auszahlte, bei dem sie sicherlich selbst viel Geld verdiente. Man würde ganz sicher davon ausgehen, dass dem so war – und sie sich einfach etwas Geld zusammensparen konnte, um sich dann letztendlich ihre Freiheit zu erkaufen.

Aber in Wahrheit bekam Tina nie etwas von dem Geld zu sehen. Von ihr wurde erwartet, dass sie Ike von vorne bis hinten bediente, mit ihm schlief und sich von ihm verprügeln ließ, wann immer er dies für angebracht hielt, und dabei – so als wäre alles in Ordnung – den glamourösen und energiegeladenen Star der Show spielte. Doch sie bekam keinen Cent für ihre Arbeit, nichts, was sie für ihre psychischen und physischen Qualen entschädigt hätte. Ike hatte ihr Leben und ihr Umfeld total unter Kontrolle. Sie durfte noch nicht einmal eigene Freunde haben. Auf diese Weise machte er jede Flucht für sie unmöglich. Er sorgte dafür, dass sie keinen Ort hatte, an den sie hätte fliehen können.“

aus: Mark Bego, Tina Turner. Die Biografie, 2009

Autor Mark Bego hat Tina Turner, die 2023 starb, häufig getroffen und interviewt. Das bewegte Leben hat er in einem spannenden Buch zusammengefasst, das von der ersten bis zur letzten Zeile zu fesseln weiß.