Superreiche besitzen mindestens 1,4 Billionen Euro, Steuersätze seit Mitte der 1990er drastisch reduziert

Die Vermögen superreicher Haushalte in Deutschland dürften weitaus größer sein als in Forschung, Medien und Öffentlichkeit angenommen. Allein die mehr als 200 Milliardenvermögen im Land könnten zusammengerechnet statt rund 900 Milliarden Euro mindestens 1400 Milliarden Euro umfassen, möglicherweise sogar noch deutlich mehr. Das entspricht gut einem Drittel bis der Hälfte des jährlichen deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) und verteilt sich auf lediglich rund 4300 sehr reiche Haushalte. Gründe für die deutliche Unterschätzung der Milliardenvermögen sind, dass es mehr davon geben dürfte als bislang angenommen. Zudem sind die bekannten Supervermögen in bisherigen Analysen teilweise unterbewertet, etwa weil Gewinnausschüttungen nicht voll erfasst sind oder Unternehmensanteile oder Immobilien in ihrem Wert unterschätzt werden. Das ergibt eine neue, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie.
Die Untersuchung zeigt auch: Wichtige Steuersätze zur Besteuerung der Erträge aus Milliardenvermögen sind seit 1996 deutlich gesenkt worden. Neben der Aussetzung der Vermögensteuer hat sich beispielsweise der Steuersatz auf nicht ausgeschüttete Gewinne seit 1996 in etwa halbiert. Ein weiteres Ergebnis: Die meisten der über 200 Milliardenvermögen in Deutschland stehen zwar mit großen Unternehmen in Zusammenhang und entfallen meist auf Mitglieder der (ehemaligen) Eigentümerfamilien. In knapp jedem fünften Fall beruht das aktuelle Vermögen aber im Wesentlichen schlicht auf dem Verkauf der Firma. Und auch, wenn Familien noch wirtschaftlich mit einem Unternehmen verbunden sind, wird dieses nur in gut der Hälfte dieser Fälle durch Familienmitglieder gemanaged. Bei der anderen Hälfte beschränkt sich die Rolle der Familie auf eine Mitgliedschaft in den Kontrollgremien oder eine stille Teilhaberschaft. Bei der Mehrzahl der Milliardenvermögen kann daher nicht von „Unternehmertum“ als direkter Quelle des Reichtums die Rede sein, konstatieren die Studienautor*innen Julia Jirmann und Christoph Trautvetter von der Nichtregierungsorganisation Netzwerk Steuergerechtigkeit – anders als es Interessengruppen Vermögender oft darstellten.
Wie viel besitzen die Superreichen in Deutschland? Einigermaßen genau weiß es bislang niemand. Die Datenlage zu sehr großen Vermögen ist sehr lückenhaft. Seit in den 1990er Jahren die Vermögensteuer ausgesetzt wurde, haben die Steuerbehörden keinen systematischen Überblick. Auch Datenquellen wie der Mikrozensus oder das sozio-oekonomische Panel (SOEP) enthalten kaum verwertbare Zahlen zu Superreichen und ihrem Besitz. Denn deren Zahl ist so klein, dass sie selbst von großen Stichproben kaum erfasst werden. Zudem sind viele Befragungen freiwillig. Um sich der Realität wenigstens anzunähern, nutzen verschiedene Forscher ergänzend so genannte „Reichenlisten“, die von Wirtschaftsmedien recherchiert werden. Auch der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung beruft sich auf diese Listen und verzichtet bisher auf eigene Analysen zu den Milliardenvermögen.
Dabei sei es politisch besonders relevant und wissenschaftlich machbar, beim Thema Milliardenvermögen die Datenlücken zu verkleinern, betonen Jirmann und Trautvetter. „Geeignete Maßnahmen gegen die zunehmende Ungleichheit scheitern an politischem Widerstand und an weitverbreiteten Mythen und Fehleinschätzungen der Öffentlichkeit zu Vermögensverteilung und -besteuerung.“ Wo Informationen fehlen, habe Lobbyismus leichtes Spiel, mehr unabhängige Reichtumsforschung sei dringend nötig. Die Böckler-geförderte Studie leistet dazu einen Beitrag, ihr Datensatz ist öffentlich abrufbar – anders als bei anderen Untersuchungen zu Hochvermögenden, wie sie beispielsweise die Stiftung Familienunternehmen in Auftrag gibt, so die Forschenden. Jirmann und Trautvetter haben die Datenrecherche und -analyse in ihrer Studie deutlich verfeinert. Dabei gehen sie aus von den „Milliardärslisten“, die die Wirtschaftzeitschriften „Forbes“ und „Manager-Magazin“ jährlich veröffentlichen. Beide Listen werden detailliert abgeglichen, zusätzlich integrieren die Expert*innen Informationen aus zahlreichen weiteren öffentlich zugänglichen Quellen wie Unternehmensdatenbanken. Damit lassen sich die Milliardenvermögen in Deutschland, auf die sich die Studie konzentriert, besser als bisher abschätzen. Das führt unter anderem dazu, dass die Forschenden zum jetzigen Stand 11 zusätzliche Milliardenvermögen identifizieren, die bislang nicht auf den Listen waren.
In der Systematik orientieren sich die Forschenden am Vorgehen des „Manager-Magazins“ und nehmen als Ausgangspunkt für die Abgrenzung nicht das individuelle Eigentum einzelner Personen, sondern Vermögen, die in einem engen Bezug zueinander stehen und insgesamt mindestens eine Milliarde Euro umfassen – häufig ein Mehrfaches davon. Diese Bezüge ergeben sich meist durch familiäre Bande und/oder Verbindungen zu Unternehmen, die nach Schätzung der Fachleute bei rund 90 Prozent der Milliardenvermögen ursprüngliche Quelle des Reichtums waren oder sind.
Quelle: https://www.boeckler.de
Julia Jirmann, Christoph Trautvetter: Milliardenvermögen in Deutschland. Lücken der Reichtumserfassung und -besteuerung – Vorschlag für einen alternativen Reichtumsbericht. Working Paper der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung Nummer 316, Dezember 2023
Datensatz zur Studie auf der Website des Netzwerk für Steuer Gerechtigkeit