Lloyd Cole ist ein englischer Sänger und Songschreiber, bekannt für seine Rolle als Leadsänger von Lloyd Cole and the Commotions von 1984 bis 1989 und für seine anschließenden Soloarbeiten. Hans-Joachim Roedelius ist eine legendäre Figur des Krautrock und der avantgardistischen elektronischen Musik. Er war Gründungsmitglied der bahnbrechenden Bands Cluster und Harmonia.

Wie merkwürdig, dass diese Zusammenarbeit erst so spät zustande kam und wie wunderbar, dass sie überhaupt zustande kam. Cole und Roedelius trafen sich nicht im Studio, sondern wählten eine zeitgemäße Form des Materialaustauschs, indem sie Dateien über den Äther schickten, die der andere ergänzen sollte.

Wie kam es zu ihrer Zusammenarbeit? Lloyd Cole veröffentlichte 2001 „Plastic Wood“, ein instrumentales, elektronisches Album, das für seine Verhältnisse sehr ungewöhnlich ist. Beim Hören von „Plastic Wood“ wird deutlich, dass das Cluster-Album „Sowieso“ (1976) zu Coles absoluten Lieblingsstücken gehört. Ein Freund von Cole, der auch Roedelius kannte, schickte diesem eine Kopie des Albums des Engländers. Roedelius gefiel es so gut, dass er sich sofort daran machte, die gesamte LP neu zu mischen, oder besser gesagt, er fügte den vorhandenen Stücken Overdubs hinzu – ohne zu fragen und ohne gefragt worden zu sein! Als Cole die Ergebnisse erhielt, war er nicht nur geschmeichelt, sondern auch sehr beeindruckt von den Roedelius-Remixen. „Plastic Wood“ war bereits veröffentlicht worden und Cole war der Meinung, dass das Projekt seinen Lauf genommen hatte, so dass die Roedelius-Remixe in den Archiven verschwanden. Dennoch reizte die Idee einer Zusammenarbeit die beiden, und sie schrieben sich von Zeit zu Zeit. Gut zehn Jahre später trafen sich die beiden schließlich persönlich, als Lloyd Cole auf Tournee in Wien weilte. Nun konnte es richtig losgehen.

Die ersten Ergebnisse ihrer Bemühungen, die 2013 veröffentlicht wurden, tragen den bescheidenen Titel „Selected Studies Vol. 1“. Studien sind streng genommen unvollständige Erkundungen der kompositorischen und klanglichen Möglichkeiten. Und doch offenbart dieses Album eine ausgereifte, sorgfältig komponierte Musik, als ob Cole und Roedelius schon seit Jahren zusammenarbeiten würden. Beide Künstler konzentrieren sich auf elektronische Klänge in einer Auswahl prägnanter, direkter Stücke, die frei von musikalischer Geschwätzigkeit sind. Cole singt weder, noch spielt er Gitarre, und Roedelius rührt selten die Tasten seines Flügels an. Stattdessen haben die beiden Musiker eine subtile Klanglandschaft entwickelt, die nur bei einem Stück, „Wandelbar“, in Richtung reines Geräusch abdriftet. Alle anderen „Studien“ des Albums bewegen sich in einem weiten Spektrum von harmonischen Wundern und rhythmischen Trittsteinen.

So paradox es auch klingen mag, „Selected Studies Vol. 1“ erinnert an die Musik von Claude Debussy, wenn ihm 120 Jahre früher elektronische Instrumente zur Verfügung gestanden hätten. Hochimpressionistische Bilder flimmern um den Hörer herum, luftig, transparent, zeitversunken, jedes ein eigenes Fenster zu einer hellen, aber geheimnisvollen Welt. Weit entfernt von Kitsch, Ambient- und Wohlfühlmusik, verlangt „Selected Studies Vol. 1“ ein aufmerksames Zuhören, um den ernsthaften künstlerischen Ausdruck dieser beiden Musiker/Komponisten voll zu würdigen. Dadurch erschließt sich die Schönheit und Tiefe des Albums.

Cole und Roedelius versuchen, der Tristesse der realen Welt phantastische klangliche Topographien entgegenzusetzen, die uns einladen, ein freundliches Labyrinth ständiger Überraschungen zu betreten, einen Ort, den man jederzeit wieder verlassen kann, ohne Angst zu haben, sich hoffnungslos zu verirren.

Quelle: Bureau B