In anderen Ländern zieht man Leute so an, um kleine Kinder zu erschrecken, im Königreich Frauen.“ Dreizehn Monate lang hat der deutsche Journalist Peter Boehm an saudischen Universitäten unterrichtet. Das ist sein Bericht. Er erzählt von Kindern, die Auto fahren dürfen, aber Frauen, die das nicht dürfen, von Luxus-Arbeitslosen und Frauen im Darth Vader-Kostüm, von Hausmädchen und ihren Horror-Geschichten, der eigentlichen Bedeutung des Gebets, von der saudischen Autogesellschaft und dem wahnwitzigen Bauboom. Aber vor allem zeichnet Peter Boehm das detailgetreue Porträt einer islamisch-fundamentalistischen Gesellschaft, die auf der Welt ihresgleichen sucht.

„Natürlich wäre es wegen der Geschlechtertrennung eigentlich am besten, wenn die Frauen das Haus nicht verließen, aber das geht wohl selbst im perfekten System nicht. Deshalb müssen sich die Frauen in der Öffentlichkeit unkenntlich machen. Sie werden gesichts- und körperlos, ja, im Grund sind sie nicht voll anwesend.

Außer Haus tragen alle saudischen Frauen die Abaya, eine tiefschwarze weite Robe, die vom Kopf bis zum Boden reicht; sowie den Niqab, einen schwarzen Gesichtsschleier, der nur einen sehr schmalen Schlitz um die Augen frei lässt.

In anderen Ländern zieht man Leute so an, um kleine Kinder zu erschrecken, im Königreich Frauen. Im Vergleich dazu wirken die hellblauen und rehbraunen Burkas der afghanischen Frauen kokett. Manche Frauen im Königreich tragen sogar schwarze Handschuhe und ein schwarzes, leicht transparentes Tuch vor den Augen. Die religiöse Polizei hat auch schon Frauen befohlen, den Augenschlitz zu bedecken, wenn sie „wandernde“, das heißt flirtende, Augen gesehen haben wollte.

Die schwarzen Roben sind ein beliebtes Gesprächsthema unter westlichen Expatriates. Jeder meiner Kollegen hatte so seine eigene Vorstellung, an was ihn die vermummten Frauen erinnerten. Mich mahnte die schwarze Silhouette der saudischen Frauen unheilvoll an die einer Vogelscheuche oder des Schnitter Tod; manche gar, die noch zusätzlich ein schwarzes Tuch über den Kopf nach hinten warfen und ihm so eine breite, trapezförmige Form gaben, an die von Darth Vader, den Erzschurken aus „Star Wars“.

Einer meiner Kollegen aus Neuseeland fühlte sich von den saudischen Frauen an Gespenster erinnert. „Sie schweben so dahin. Du siehst ja ihre Füße nicht. Und du hörst sie nie“, erzählte er mir schon nach seinen ersten paar Wochen im Königreich. Er hatte recht. Das ist auch mir aufgefallen. Wenn ich überhaupt Frauen sah, dann nur unter sich oder mit ihren Kindern verstohlen tuschelnd. Auf den Flughäfen wunderte ich mich manchmal, dass die Kinder nicht ihre Jedi-Mütter verloren.

Sie trotteten neben einem Vader her, aber wer konnte schon sicher sein, dass es der richtige Jedi war, sie sahen sich ja alle so ähnlich. Außerdem hörte ich nur selten Funkkontakt zwischen Kind und Vader. Wie die Kinder am Ende des Fluges noch mit dem richtigen Jedi nach Hause gingen, blieb mir zeitlebens ein Rätsel.“

aus: Peter Böhm, Im Königreich der Frommen (2013)

TAZ-Artikel von Peter Böhm

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