Dem Magazin CLASSIC ROCK hat Jethro Tull Chef Ian Anderson einige interessante Dinge bezüglich seiner musikalischen Vorlieben erzählt.
2022 erklärte er in einem ntv-Interview:
Ich höre schon seit den 1970ern keine Musik mehr. Davor – bis ich etwa Mitte 20 war – hatte ich schon so viele musikalische Erfahrungen und Einflüsse gesammelt, dass ich daraus schöpfen konnte – von Blues und Jazz über Rock und Pop bis hin zu Folk und Klassik. Vieles davon war so inspirierend, dass ich nichts Neues mehr brauche. Ich schnappe immer mal wieder neue Sounds auf, das hört man, das kann ich nicht abstreiten. Aber wirklich etwas Großes ist nicht dazugekommen, denn im Grunde ist alles Neue nur eine Reminiszenz an die Dinge, die ich schon damals gehört habe.
Quelle: ntv
Wenn er auf seine Vorbilder zu sprechen kommt, bewahrheitet sich das. Es finden sich keine jüngeren Musiker*innen darunter. „Die Musiker, die ich damals gehört habe, waren schon in ihren 50ern, 60ern oder sogar älter.“
So wundert es nicht, dass sein Gitarrenheld Fleetwood Mac’s Peter Green ist. „Er konnte eine Gitarre wie eine menschliche Stimme singen lassen. Er hatte diesen wunderbaren Klang und die volle Kontrolle über das Instrument. Er konnte viele Noten spielen, wenn die Musik danach verlangte, aber davon abgesehen verführte er einen mit Klasse statt Masse.“
Als Lieblings-Songwriter nennt er den Briten Roy Harper, dessen Album „Come out Fighting Ghengis Smith“ von 1968 einen Nerv bei ihm getroffen habe, weil er ein breites Spektrum abdeckte, von politischen und sozialen
Themen bis zu schlichten, bekifften Liebesliedern.
Interessant ist die Nennung seines Lieblingssängers, ein Name, den ich nie erwartet hätte: Lou Gramm (bis 2003 Leadsänger von Foreigner). Ihm bescheinigt er, „unglaubliche Präzision und Diktion – man kann jedes Wort hören, das er singt, anders als bei den meisten Sängern davor und seither. Die dekorativen Elemente seiner Darbietung waren nie übertrieben – er sang hauptsächlich im Takt, im Ton und mit großer Emotion.„

Aufschlussreich ist auch seine Wahl des besten Albums aller Zeiten. Da er stets auch ein Faible für Klassik hat, was sich letztlich in verschiedenen Alben (wie „The String Quartets“ oder „Ian Anderson Plays The Orchestral Jethro Tull„) niederschlägt, wundert es nicht, dass die Aufnahme von Beethovens Neunter der Deutschen Grammophon, dirigiert von Herbert von Karajan aus dem Jahr 1962 seine Lieblingsplatte ist, die ihn sein ganzes Leben lang begleitet hat.
Für Tull-Fans auch nicht uninteressant, ist der schlechteste Song, den er seiner Meinung nach je geschrieben hat und den er als „totaler Schrott“ tituliert:
Der Song ›Singing All Day‹ ist Müll. Ein belangloses Stück, das wir sofort in die Tonne traten, bis wir verzweifelt Material für eine Compilation brauchten, zu der wir vertraglich von Warner Brothers verpflichtet worden waren. Es kam aus der untersten Schublade.
Quelle/Zitate: Classic Rock
Anderson’s größte Enttäuschung?
Das Traurige an der Sterblichkeit ist, dass niemand je weiß, wann das Ende kommt. Es gibt keine klare Frist für all die Abschiede und letzten Worte, und so kann die Chance leicht ungenutzt verstreichen. Ian Anderson kennt dieses verheerende Gefühl aus erster Hand.
Auf den ersten Blick scheint es eine seltsame Bitte zu sein, dass Frank Zappa auf seinem Sterbebett mit Anderson sprechen wollte. Zappa hatte Einfluss auf die Karrieren und das Leben so vieler Menschen. Als sich sein Prostatakrebs verschlimmerte und das Ende nahte, hatte er eine Bitte: „Als Frank Zappa unheilbar krank war, erhielt ich eine Nachricht, in der stand, dass er möchte, dass ich ihn anrufe“, erinnert sich Anderson und fügt hinzu: „Ich hatte ihn nie getroffen. Ich war ein Fan, aber mein Instinkt sagte mir, dass er Jethro Tull nicht mochte, also war es ein bisschen seltsam.“
Im Laufe ihres Lebens und ihrer Karriere trafen sich die beiden nie und sprachen nie miteinander. Dann, 1993, kam die Anfrage von Zappa’s Sterbebett aus. Aber bei all der Geschichte und der völligen Ungewissheit, was Zappa sagen wollte oder wie er es hinterlassen würde, konnte Anderson nicht in der Leitung bleiben. „Ich wählte die Nummer dreimal, aber jedes Mal legte ich in Panik auf; es war mir peinlich – was sagt man zu einem Sterbenden? […] Ein paar Wochen später starb er“, so Anderson und beschrieb dies als eines seiner größten Bedauernisse in seiner Karriere.
Am Ende schien es, als ob Zappa seine letzten Tage einfach nur für eine Verbindung und Versöhnung nutzen wollte: „Von dem, was ich gehört habe, wollte er mit ein paar Leuten reden, nur um Hallo zu sagen, und ich war einer von ihnen. Es hätte nichts verändert, aber ich hätte meine erste und letzte Unterhaltung mit einem der großen Originale unter den Komponisten und Performern der Rockgeschichte gehabt.“ [Quelle]
Für seine Beerdigung wünscht sich Anderson übrigens „What A Wonderful World“ von Louis Armstrong.
Das ist seit mehreren Jahrzehnten der Abschluss unserer Konzerte. Das scheint mir immer ein passender Weg zu sein, sich von einem Publikum zu verabschieden, also wäre es aufgrund dessen für mich von großer persönlicher Bedeutung. Es ist ein Song über Dankbarkeit für diese wunderschöne Welt, in der wir leben.